"Das Vietnam unserer Tage"

Der Irak und zunehmend auch Afghanistan sind das Vietnam unserer Tage. Und es sieht alles danach aus, daß der Krieg gegen den Terror - der von Anfang an einer fatal falschen Strategie folgte und eine Obsession war - nun ebenso eine Niederlage erleiden wird, wie der damalige Krieg gegen den Vormarsch des Kommunismus in Asien. In Vietnam lernte die Weltöffentlichkeit diese harte Tatsache der ungeschönten Wirklichkeit erkennen mit den ersten realen Bildern des Krieges. Daß ihr die ebenso bittere Erkenntnis über die Sinnlosigkeit und Erfolglosigkeit des Krieges gegen den Terror verborgen bleibt, liegt nicht zuletzt daran, daß auf nichts so viel Sorgfalt verwendet wird wie darauf, daß es diese Bilder heute nicht gibt. Anders als damals gibt es heute keine freien Photographen im Kriegsgeschehen, sind zuviel schreibende Journalisten ideologisch eingebunden, ebenso wie die Spinn-Doktoren und Kaffeesatzleser, die die westlichen Öffentlichkeiten einlullen. Trotzdem ist unverkennbar: Die Zahl der Anschläge und der Toten steigt wieder im Irak, die Zahl der sogenannten "Korruptionsschäden" der Bomben-Angriffe und der Anschlagsopfer steigt auch in Afghanistan, die Drogenkriminalität wächst ins Unermeßliche, die Zustimmung und der Zulauf zu den Taliban explodiert. Die ISAF-Truppen gewährleisten keineswegs den versprochenen Schutz der Zivilbevölkerung und der Nicht- Regierungsorganisationen, auch die deutschen ISAF-Soldaten bleiben meistens in den Kasernen. Sogar die zivilen Helfer legen größten Wert darauf, von ihnen vollständig getrennt zu sein, um nicht selbst gefährdet zu werden. Als Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit der Vertrauensfrage im Jahre 2005 ihre eigene Regierungskoalition nötigten, mit der Abstimmung dem Afghanistaneinsatz zuzustimmen, taten sie dies mit dem Versprechen einer grundsätzlichen und definitiven Trennung von Enduring Freedom- und ISAF-Einsätzen. Das war schon damals illusionär. Mit dem Tornado-Einsatzbeschluß der neuen Regierung wurde dieses, einem ganzen Parlament gegebene Versprechen, in kürzester Zeit gebrochen. Dabei ging es mitnichten um einen realen Bedarf an Aufklärung, es ging um die Demonstration, daß nun auch endlich die Deutschen breit geklopft waren zur Beteiligung an der US- Kriegsstrategie. Eine eigenständige Position, an der sich die Gegner des Krieges orientieren könnten, sollte nicht mehr erlaubt sein. Unbegreiflich und politisch ein Granatenfehler, daß auch grüne Mandatsträger dem zugestimmt haben ! Es stimmt, der Westen hat durch sein Engagement in Afghanistan eine Verantwortung übernommen, an der auch die deutsche Regierung beteiligt war. Es stimmt, daß in den Petersberger Prozeß und in den UNO-gestützten ISAF-Einsatz große Hoffnungen gesetzt wurden. Es stimmt aber auch, daß der größte Teil dieser Hoffnungen inzwischen enttäuscht ist, daß Kollaboration und organisierte Kriminalität in Afghanistan zunehmen in derselben Blitzgeschwindigkeit in der die Sicherheit auf den Straßen abnimmt. Die Welt der schönen Bilder, wo Frauen die Burka abwerfen, Mädchen begeistert in die Schulen gehen und die Deutsche Welle ins letzte Beduinenzelt gute Qualitätssendungen strahlt, ist vorbei. Der Brückenschlag zwischen der Hauptstadt Kabul und den Regionen der anderen Stammeszugehörigkeiten ist mißlungen. Die Menschen in Afghanistan sind abgrundtief ernüchtert. So wie sie fest entschlossen sind, kein neues Terror-Regime der Mullahs und Talibans zuzulassen, so sehr haben sie auch jeden Glauben an die Effektivität des militärischen Schutzes der westlichen Truppen verloren. Was sie brauchen ist eine Entwicklungshilfe zum Aufbau eigener rechtsstaatlicher Strukturen und Institutionen, der eigenen zivilen Sicherheitskräfte sowie der eigenen Armee. Sie brauchen auch eine Wiederauflage des Verständigungsprozesses innerhalb der verschiedenen Stammeskulturen, aber dieses mal in eigener Regie. Rechnen wir die Summe der Mittel zusammen, die zur Zeit in afghanischer Erde sinnlos und todbringend verbombt werden, so käme da eine ordentliche Summe zusammen, die mehr sein könnte als eine Alibihilfe zur Selbsthilfe. Das wichtigste im Augenblick sind Bilanzen, saubere Bilanzen, die sich mit Realitäten beschäftigen und nicht mit selbstgefälligen Wunschbildern. (Mit dieser nüchternen Brille sollte man auch die Anträge lesen, die bei dem nächsten Parteitag der Grünen zur Abstimmung stehen werden). Bleiben wir beim historischen Vergleich: Nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam trat nicht ein, was damals mit Riesenlettern an die Wand gemalt wurde: Der Kommunismus triumphierte nicht über die Demokratie. Die Dominotheorie wurde widerlegt, genau genommen begann mit diesem Datum (und mit dem Einmarsch der Sowjets in Prag) der Beginn der historischen Niederlage des Kommunismus. Warum? Weil erst mit abnehmendem Bombenterror und abnehmendem Außendruck die reformerischen Kräfte im Inneren der diktatorischen Systeme aus der babylonischen Gefangenschaft der Kollektividentität befreit wurden. Weil erst mit dem Abstand von dem drohenden Krieg der Systeme ein Gorbatschow, eine chinesische und vietnamesische Reformpolitik in Ansätzen möglich wurde. Und übrigens war es der amerikanische Kriegsgegner Vietnam, der das apokalyptische Pol-Pot-Regime niederrang, welches jahrelang vom Westen unterstützt und geduldet wurde. Auch gibt es im heutigen Vietnam, das immer noch unter den Kriegsfolgen ächzt, keinen Haß gegen Amerika, sondern eine positive Aufbruchstimmung. Als Lehre bleibt: Ideologien werden zu allererst im Kopf besiegt. Der Krieg gegen ideologische Irrtümer ist ein Irrweg, der sein Ziel nicht erreicht. Auch die Überwindung der islamistischen Ideologie mit militärischen Mitteln ist gescheitert, die USA und die beteiligten Europäer wollen dieser klaren Erkenntnis nur ausweichen. Aber auch diese Niederlage wird nicht das Ende der Welt bedeuten. Die Überwindung des Islamismus wird, wie immer, aus den Gesellschaften selbst kommen. In Algerien waren es besonders die Frauen, die ihre Männer, Söhne und Politiker nach jahrelangem Kampf und großen Opfern von Irrsinn des Bürgerkriegs wieder auf den Weg der zivilen Reformen brachten – und zwar weitgehend ohne Unterstützung und Verständnis von außen. In der Türkei findet gerade eine aufsehenerregende Reformbewegung statt, die getragen wird von Kopftuchträgerinnen, islamischen Intellektuellen und vernunftgeleiteten Moscheegängern. In Marokko ist es ein aufgeklärter König, der seine Chancen wahrnimmt, Vernunft einkehren zu lassen. Was alle diese Bewegungen aber vor allem brauchen, ist endlich ein Rückzug der westlichen Bombengeschwader, der westlichen
© 2015 Dr. Antje Vollmer